Internationaler Liturgischer Kongress in Bose/Italien

Bose, 7. Juni 2008INTERNATIONALITER LITURGISCHER KONGRESS IN BOSE/ITALIEN

ALBERT GERHARDS
Seminar für Liturgiewissenschaft, Universität Bonn

Zum fünften Mal in Folge (insgesamt zum sechsten Mal) tagte vom 5. bis 7. Juni 2008 im norditalienischen Kloster Bose (Magnano/Biella, Piemont) ein Internationaler Kongress zu Themen des Kirchenbaus und seiner künstlerischen Ausgestaltung, veranstaltet vom gastgebenden Benediktinerkonvent und dem Nationalen Büro für die Kulturgüter der Kirche der Italienischen Bischofskonferenz. Der mit über 230 Teilnehmenden aus unterschiedlichen Kompetenzen und Interessensgebieten (Architektur, Kunst, Theologie) und aus zahlreichen Ländern ausgebuchte Kongress befasste sich mit dem Themenspektrum „Heilige Versammlung. Formen, Gegenwartsweisen, Vorsitz“. Damit wurde ein thematisches Spektrum abgeschlossen, dass nach einem allgemeinen Auftakt über die erneuerte Liturgie in den 90er Jahren seit 2003 den liturgischen Raum und seine Orte in den Blick nahm: den Altar, den Ambo, den liturgischen Raum und seine Orientierung, das Baptisterium. Aus verschiedener Warte – kunsthistorisch, architekturwissenschaftlich, philosophisch, soziologisch, theologisch – wurde unter anderem über konkrete Raumgestalten und künstlerische Umsetzungen, aber auch über biblische und theologische Grundlagen oder humanwissenschaftliche Fragen referiert und diskutiert. Wie die vergangenen Kongresse wird auch der diesjährige in einem reich bebilderten Sammelband des hauseigenen Verlags (Edizioni Qiqajon, Monastero di Bose: www.monasterodibose.it) dokumentiert.

Der diesjährige Kongress vollzog eine Zirkelbewegung nach, wie sie aus derzeitiger Sicht die vergangenen hundert Jahre der Entwicklung der katholischen Liturgie bilden. Der erste Teil ging über die „Heilige Versammlung“ und ihre unterschiedlichen Formen. Zu Beginn referierte der belgische Benediktiner Frédéric Debuyst OSB (Saint-André de Clerande, Löwen) über „Die lebendige Versammlung – eine immer unerreichte Fülle“. Ausgehend von Schlüsselerfahrungen des Ambrosius und des Augustinus während der Osternacht 386 in Mailand schilderte er die liturgischen Erfahrungen der „neuen Gemeinde“ auf Burg Rothenfels bei der Osternacht in den dreißiger Jahren, die die Idee des künftigen Volkes Gottes antizipierte. Die vom Architekten Rudolf Schwarz im Dialog mit Romano Guardini geschaffene Raumsituation bot dazu den entsprechenden Rahmen. Die Reduktion des Raums auf das Wesentliche trug dazu bei, dass Sakralität sich nicht an Dingen festmachte, sondern an die handelnden Personen gebunden war. Heute scheint wieder eine Wende zum Objekt eingesetzt zu haben, die die Versammlung scheinbar davon enthebt, selbst sacramentum mundi zu sein und für Hinzukommende einladend zu wirken.
Eine Einführung in die Theologie des Leibes unter dem Titel „Körper, berufen, einen Leib zu bilden“ legte der italienische Theologe Giuseppe Busani (Piacenza) vor. Darin wurde im Anschluss an neuere Ritualtheorien eine Begründung für die faktische Versammlung als theologische Größe gegeben. Nur in der Annahme der Leiblichkeit kann die Wirklichkeit der Erlösung erfahren und zugleich die Differenz zwischen dem „Schon“ und dem „Noch nicht“ ausgehalten werden. Rituale regeln das Spiel von Nähe und Distanz, indem sie die notwendige Spannung aufrecht erhalten. Die unterschiedlichen Formen und der Versammlung in der Geschichte und ihre theologischen Hintergründe behandelte Giuliano Zanchi (Bergamo). Die jeweiligen Formen sind einerseits Kind ihrer Zeit, haben andererseits aber vom Evangelium her eine Kontrastfunktion zu erfüllen. Für die demokratischen Gesellschaften der Nachmoderne sind die angemessenen Lösungen noch zu finden. Auf die besondere Form des liturgischen Raums mit dem beherrschenden Verkündigungsort (Bema) in der Mitte des Kirchenschiffs bezog sich der Spanier Sebastià Janeras (Barcelona) – eine Alternative zur Monopolstellung des Altars seit dem Mittelalter im Westen? Der amerikanische Lutheraner Gordon Lathrop (Philadelphia) referierte über das Thema „Bilder der Versammlung, Bilder der Kirche.“ Eindrucksvoll ist die ntl. Vielfalt der Bilder, gegenüber denen die faktische Entwicklung der liturgischen Versammlung als Bild vielfach eine Verarmung darstellt.
Eine Konkretisierung erhielt das Tagungsprogramm durch drei Präsentationen von Fallbeispielen exemplarischer Kirchenraumgestaltungen unter dem Gesichtspunkt der Kathedra, des Priestersitzes und der Aufbewahrung der Eucharistie. Die Kunstwissenschaftlerinnen Claire Genin und Monika Schmelzer berichteten aus Frankreich und Belgien bzw. aus Deutschland und Österreich und die Architekten Giorgio della Longa und Antonio Marchesi aus Italien. Aus deutscher Perspektive überrascht die anhaltende Aktivität im Kirchenbau in Italien und Frankreich. Die Beispiele verdeutlichten die Schwierigkeit, den Sitz des Vorstehers der Versammlung so zu gestalten und zu positionieren, dass er den Dienst der Leitung unterstützt und nicht wie ein Thron wirkt.

Die Theorie zum Thema Leitungsdienst wurde den praktischen Beispielen nachgeliefert. Der französische Dogmatiker Louis-Marie Chauvet (Paris) referierte über den Vorsteherdienst in der Liturgie. Er besteht in der Gegensätzlichkeit der Stellvertretung eines anwesend Geglaubten, eine für westliches Denken kaum auszuhaltende Spannung. Hier bekommt das Motiv „in persona Christi agere“ mit der Zeit eine Dominanz, die den Priester mit dieser Rolle schlechthin identifiziert. Leitungsdienst recht verstanden heißt demgegenüber, dass der Amtsträger in das Gebet Christi eintreten, es sich zu eigen manchen muss. Das bedeutet zugleich, sich das Gebet der Kirche anzueignen, um der Gemeinde geistlich aufzuhelfen. Dass die Frage der Christus-Identifikation in der östlichen Bildtheologie besser gelöst wurde, zeigte Albert Gerhards (Bonn) in seinem Referat auf über Kathedra und Priestersitz – Implikationen ihrer Aufstellung. Theologisch ist zwischen der Kathedra als Symbol des Bischofs und der von ihm repräsentierten successio apostolica und dem Priestersitz als Funktionsort zu unterscheiden. Daher ist dieser auch auf einer anderen Ebene angesiedelt als die eigentlich liturgischen Handlungsorte Altar, Ambo und Baptisterium. Auch der Aufbewahrungsort der Eucharistie ist nicht eigentlich ein liturgischer Ort, weshalb bis zur Editio Tertia des Römischen Missale der Aufstellung in einer Seitenkapelle der Vorzug gegeben wurde. Die Relativität eines schematisch ausgeführten „Einrichtungsprogramms“ gegenüber einer künstlerisch und theologisch verantworteten Konzeption belegten konkrete Beispiele des Bildhauers Klaus Simon (Krefeld).
Dem Thema eucharistische Präsenz war der letzte Themenblock gewidmet. Nach einer biblischen Abhandlung über die Kategorie des Wohnens Gottes (André Wenin, Louvain/Belgien) zeichnete der amerikanische Theologe Nathan Mitchell (Notre Dame) die abendländische Geschichte der eucharistischen Aufbewahrung und Verehrung nach. Sie ist vom Wandel der Auffassung von der Kirche als Leib Christi zum eucharistischen Leib, von der communio sanctorum zur sacra communio, bestimmt. Der Osten hat, wie Robert Taft SJ (Rom) darlegte, diese Entwicklung nie mitvollzogen, wenngleich auch hier die Praxis der Gläubigenkommunion defizitär wurde.

In seiner Zusammenfassung verwies der belgische Liturgiewissenschaftler Paul de Clerck (Brüssel/Paris) auf das durchgängige Problem der im Abendland virulenten Objektfrömmigkeit, gegen die sich die Liturgische Bewegung zu Recht wandte. Heute hat die Liturgische Erneuerung auf der Linie des Zweiten Vatikanums ein Plausibilitätsproblem. Der in Lumen Gentium zutage tretende Gegensatz einer Ekklesiologie der Versammlung gegenüber einem Verständnis der Messe als Besitz des Priesters bestimmt immer noch die Diskussionen. Ein kapitaler Fehler nachkonziliarer Kirchenraumgestaltung lag darin, dass man die Änderungen nach wie vor im Geist der tridentinischen Reform vorgenommen hat, statt die theologische Matrix des Zweiten Vatikanums zugrunde zu legen.

Der Kongress in Bote hatte sich zur Aufgabe gestellt, noch einmal grundsätzlich die biblischen, theologiegeschichtlichen und archäologischen sowie kunstgeschichtlichen Dokumente zu sichten und zu befragen in Hinblick auf das, was „heilige Versammlung“ für die Kirche bedeutet hat und bedeutet. Die biblischen Kategorien des Wohnens (qahal) Gottes in seinem Volk und seiner Kirche (ekklesia) bleiben Maßstab für die theologische und liturgische Konzeption der „heiligen Versammlung“ und ihrer Binnenstrukturierung. Die Frage ist, wie die faktisch verlaufene Entwicklung in der Geschichte der Liturgie zu bewerten und evtl. zu korrigieren ist. In Bezug auf den Kirchenraum zeigt sich die Entwicklung der Konzilshermeneutik von der Zeit nach dem Konzil zu jüngeren Verlautbarungen: ging man zunächst mehr von der auf dem sacerdotium commune fußenden Gemeinsamkeit aller Beteiligten aus, wird nun wieder der wesentliche Unterschied zwischen den beiden sacerdotia profiliert. Dies führte bereits zu Änderungen in den liturgischen Bestimmungen (z.B. in Bezug auf die Leitung von Gottesdiensten durch Laien, die Spendung der Kommunion durch Laien, die Kelchkommunion) und weitet sich zusehends auf die Bestimmungen zur Ordnung liturgischer Räume aus (Trennung von Presbyterium und Gemeinderaum, Errichtung einer „Ikonostase“ auf dem Altar mit Kreuz und Kerzenleuchtern, Wiedereinführung der Kommunionbank, Akzentuierung und Reservierung des Priestersitzes).

In Bose zeigte sich ein hoher Standard liturgischer Theologie und liturgiewissenschaftlicher Forschung auf internationaler Ebene. Deutlich wurde freilich auch, wie wenig es dem Fach Liturgiewissenschaft gelungen ist, die zentralen Anliegen so zu vermitteln, dass sie Allgemeingut von Theologie und Kirche geworden wären. Es hängt wohl mit den Zeitumständen der Reform und der allzu starken Einbindung der Vertreter der noch jungen Disziplin in die Reformarbeit zusammen, dass die eigentlich theologische Begründung dieses Unterfangs nicht genügend vermittelt, vielleicht auch nicht genügend reflektiert und ausformuliert worden ist. Dies führte in der konkreten Umsetzung weitgehend dazu, dass man zwar die äußeren Formen übernahm, die theologische Begründung, wie sie durchaus in den pastoralen Einführungen der liturgischen Bücher mitgeliefert wird, aber nicht verinnerlichte, wohl kaum überhaupt zur Kenntnis nahm. Die heute oft beklagte Verflachung und Beliebigkeit waren dann die natürlichen Folgen. Wenn die derzeitigen Irritationen in Bezug auf die Zukunft der liturgischen Erneuerung einen Sinn haben, dann vielleicht den, dass man dem Geist der Liturgie auf allen Ebenen mehr Aufmerksamkeit schenkt und das Versäumte nachholt. Der Kongress in Bose bot dazu wichtiges theoretisches Rüstzeug und anschauliche Beispiele.

ALBERT GERHARDS
Seminar für Liturgiewissenschaft, Universität Bonn